Ein Interview mit Raphael Brunk, Olga Grigorjewa und Paul Schuseil – Preisträger der Ausstellung "Identität" der Jüdischen Gemeinde Frankfurt
Bei der Ausstellung zum Thema “Identität” im Ignatz Bubis Gemeindezentrum Frankfurt anlässlich der 40-jährigen Städtepartnerschaft zwischen Frankfurt am Main und Tel Aviv wurden drei der teilnehmenden Künstler ausgezeichnet: Raphael Brunk (1. Kunstpreis der Jüdischen Gemeinde Frankfurt), Olga Grigorjewa (2. Kunstpreis der Jüdischen Gemeinde Frankfurt) und Paul Schuseil (Sonderpreis des Vorstandes der Jüdischen Gemeinde Frankfurt). Die Preisträger hat die Kunsthistorikerin Dr. Ruth Polleit Riechert zum Gespräch getroffen:
Raphael Brunk, seit unserem letzten Interview ist viel passiert: Auffällig ist, dass sich Dein Werk vom Fotografischen zum Malerischen weiterentwickelt hat. Bei Deiner Capture-Serie hat der Betrachter erkannt, dass es sich um eine Fotoarbeit handelt. Nun könnte es sich auch um ein gemaltes Bild handeln. Wie kam es dazu?
Zentrales Thema meiner aktuellen #Hex Serie ist die Bildschaffung unter Zuhilfenahme von fotografischen Consumer-Bildbearbeitungsalgorithmen. Ausgehend von low-res Digitalfootage, überwiegend aus der Populärkultur, entstehen in vielen Arbeitsschritten neue, meist großformatige Arbeiten. Die Vorgehensweise, das Zulassen von zufälligen Kompositionen im Sinne eines kultivierten Zufalls und digital gestische Eingriffe meinerseits könnten definitiv auf eine malerische Arbeit schließen lassen. Letztlich basiert aber alles auf fotografischem Material.
In Deinen frühen Arbeiten hast Du Fotos innerhalb von Videospielen gemacht und diese dann zu einem Bild zusammengesetzt. Dabei waren es für ein Werk bis zu 300 Einzelaufnahmen. Wie entstehen Deine Werke rein technisch nun? Und warum hast Du deine neue Serie HEX genannt?
Die Arbeiten aus der HEX Serie entstehen überwiegend aus einer einzigen niedrig aufgelösten fotografischen Datei. Aus diesem wächst die finale Arbeit in hunderten Schritten zum finalen Werk. HEX ist ein Farbwert. Der sogenannte Hexadezimal-Code ist eine sechsstellige Kombination aus Buchstaben und Zahlen und definiert eine von 16.777.216 möglichen Farben im RGB-Farbraum. Meine Arbeiten benenne ich nach dem durchschnittlichen Farbwert aller Pixel im jeweiligen Bild.
Die Anregungen für Deine neuen Werke stammen aus ganz unterschiedlichen Bereichen: aus dem Fußball, aus Comicserien. Welche Themen interessieren Dich besonders?
Meist hat das Material einen autobiografischen Bezug, es gibt aber keine dogmatische Einengung in der Auswahl. Wenn ich merke, dass ich in irgendeiner Art und Weise auf das Abgebildete reagiere, dann kommt es in mein Archiv. Daraus beziehe ich dann im Schaffensprozess mein Ausgangsmaterial für die einzelnen Arbeiten.
Mit Deinen Motiven verwandelst Du Alltagsgegenstände oder weltbekannte Comicfiguren – teilweise fast unkenntlich und verfremdet – in ein neues Bild. Interessant ist, das Du für den Druck auch ganz neue Materialien verwendest. Welche Eigenschaften haben sie und warum können sie besonders gut Deine künstlerische Aussage transportieren?
Grundsätzlich war ich auf der Suche nach einem Bildträger ohne kunsthistorisch fotografische Aufladung. Aluminiumwabenverbundplatten werden überwiegend in der Architektur als Fassadenplatten für Gebäude genutzt und sind auf dem Markt frei verfügbar. Durch den UV Print kommt es zudem zu einer recht matten Oberfläche die ohne zusätzlichen Schutz wie bspw. Glas oder eine Schutzfolie auskommt.
Du arbeitest auch an dreidimensionalen Objekten. Was können wir als nächstes von Dir sehen?
Ich arbeite an Objekten deren Räumlichkeit zunächst in 3d Programmen entsteht. Spannenderweise basieren diese auch wieder auf einer Art Zufall, es werden wie bei den Wandarbeiten algorithmische Vorgänge benutzt, um die Objekte entstehen zu lassen. Wie und ob diese letztlich haptisch materialisiert werden, steht momentan noch offen.
links unten: Raphael Brunk, Patrick Droste (Galerie Droste) und Dr. Ruth Polleit Riechert
Paul Schuseil, für Deinen Entwurf hast Du die Definition von “Identität” aus dem Duden hinzugezogen und auf Deine inhaltliche Arbeitsweise weitergeleitet. Wie war hier Dein Denkprozess?
“Identität” ist eines dieser bedeutungsschweren Wörter, die mir vertraut sind, aber über die ich noch nie explizit bis in die verschiedenen Facetten nachgedacht habe. Deshalb dachte ich, dass ich mit einer Definition anfange und dann schaue, welche Schnittmengen es mit meiner aktuellen Arbeitsweise gibt. Das vor Ort realisierte Projekt ist reduzierter und thematisiert Identität damit stärker, als die meine bisherigen Arbeiten.
Für Deine Werke verwendetest Du stets Deinen eigenen Körper als Modell. Bislang kennen wir von Dir einige Stützformen, Exoskelette, die eigenständig wie Skulpturen im Raum stehen. Wie unterscheidet sich Dein Entwurf für die Jüdische Gemeinde von Deinen bisherigen Werken?
Bisher waren es oft unnatürlichere Posen, die den Körper stark gestreckt oder gebeugt haben und mit den Titeln ironische Verweise lieferten. Diesmal gab der Raum die Positionen vor und wurde so selbst wichtigster Teil der Stützkonstruktion. Zudem steht mehr das Nüchterne und Alltägliche, als die extravagante Inszenierung im Vordergrund. Die kleinen Raumanhängsel sind sowohl Spuren, als auch Hilfen zum kontemplativen Verweilen und Betrachten der Architektur und ausgestellten Kunst und zur Nutzung der Infrastruktur wie Türklinken und Handlauf.
Welche Erfahrung hast Du bei der Umsetzung des Werkes im Ignatz Bubis-Gemeindezentrum gemacht?
Ich habe bisher selten ortsspezifisch gearbeitet. Bei diesem Projekt konnte ich die alltägliche Benutzung des Gemeindezentrums erleben, z. B. welche Wege und Türen häufig genutzt werden und kenne auch die Temperatur und Materialeigenschaften der Oberflächen des Innenraumes. Das langsame und intensive Kennenlernen des Raumes durch Herumwandern, Beobachten, Verweilen und Berühren war für mich etwas Neues und Inspirierendes.
Wird Dich das Thema “Identität” weiter begleiten?
Ich denke künstlerisches Arbeiten und das Thema „Identität“ hängen generell zusammen. Solange ich noch mit Körperabdrücken und -stützen weiterarbeite, wird es auch stärker im Vordergrund als ein Aspekt der Arbeit mitschwingen.
links oben: Paul Schuseil
Olga Grigorjewa, wie lange und in welcher Form beschäftigt Dich bereits das Thema “Identität”?
Ich habe festgestellt, dass ich mich schon länger unbewusst mit „Identität“ auseinandersetze. Immer wieder tauchen Gegenstände meiner Vergangenheit oder meiner Umgebung in meinen Zeichnungen und Installationen auf, die mir wie Stellvertreter für persönliche Zeitabschnitte scheinen. Das Thema gehe ich jetzt seit ein paar Jahren bewusster an.
Mit Deinem Werk “Auf kleinem Raum zwischen Drinnen und Draußen” hältst Du einen Moment der Erinnerung fest. Es geht dabei auch um Deine persönlichen Familiengeschichte. Wie hat sich Deine Idee entwickelt?
Das war eine Verknüpfung aus mehreren Dingen. Der erste Instinkt war, mit der Balustrade im Foyer des Ignatz Bubis-Gemeindezentrum zu arbeiten, da ich es spannend fand, den Balkon auch inhaltlich in der Fokus einer Installation zu stellen. Dann habe ich mir die Architektur des Hauses in Lwow, wo ich aufgewachsen bin, mittels google maps angeschaut. Mich haben die Stuckaturen des Hauses schließlich auf den Weg dieser langen Relief-Installation gebracht. Wegen der Formenähnlichkeit spielen da noch die Vasen aus der Vitrine meiner Großmutter mit hinein. So fügte sich alles zusammen.
Eine besondere Rolle spielen Gegenstände bei Deinen Überlegungen. Dabei verwendest Du leichtes Material (Styropor) für ursprünglich schwere Gegenstände (Stein); die Objekte haben sich hinsichtlich ihrer Materialität verändert. Was ist Dein Gedanke hierbei und was möchtest Du mit Deinem Ansatz vermitteln?
Zunächst mal hat es ganz pragmatische Gründe, die Arbeit aus leichtem Material zu fertigen. Wir dürfen nicht vergessen: Sie hängt an einem Balkon, und darf daher nicht tonnenschwer sein. Zum anderen aber gefällt mir der Gedanke, dass die Materialität der Gegenstände, von denen meine Arbeit handelt, sich verändert. Sie werden leichter aus der erinnernden Perspektive. Das ist doch toll, oder?
Eine besonderer Moment war sicher die Installation des Werks vor Ort - an die Balustrade im Ignatz Bubis-Gemeindezentrum. Wie hat sich Deine Arbeit für Dich weiterentwickelt und wie soll sie vor Ort weiter wirken?
Ich finde, dass die Arbeit, seit dem sie dort hängt, an größerer Strahlkraft gewonnen hat. Sie schwebt und leuchtet regelrecht durch das Oberlicht. Sie passt sich dem Raum, vor allem dem Balkon, perfekt an und ist wirklich ein Teil des Gebäudes geworden. Durch die vielen Perspektiven, die man auf die Installation hat, wenn man sich in diesem großen Foyer bewegt, wandelt sich die Arbeit permanent. Sie ist für diesen Ort gemacht. Es scheint, als wäre sie schon immer dort gewesen.
links oben: Olga Grigorjewa, Foto: Enrico Meyer
Öffnungszeiten der Ausstellung:
Sonntag bis Donnerstag: 10:00 – 18:00 Uhr
Freitag: 10:00 – 14:00 Uhr
Samstag: geschlossen
Der Eintritt ist frei.
Text und Interview: Ruth Polleit Riechert
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